DER ABEND VOR DEM START

 

DER ABEND VOR DEM START

Der Abend vor dem Start

Kappeln an der Schlei (54°39´38´´N, 009°56´´03´´E)

 

Für uns alle ist es zunächst noch ein normaler Arbeitstag in Hamburg. Dann werden allerletzte Dinge gepackt. Immer begleitet von dem Gefühl, etwas ganz Entscheidendes vergessen zu haben. Nur was? Es hilft nichts, wir müssen los.

Ab 23:00 ist die fünfköpfige Abreisecrew des ersten Leg von Kappeln bis Stavanger komplett. Empfangen von Maria, die eigentlich erst im Juli zwei Wochen mit uns segeln kann, aber die wunderbare Idee hat, uns zum Verabschieden zu besuchen und an Bord bereits italienische Leckereien als Abschiedsessen auf die Back gezaubert hat. Es wird ein langer, erwartungsfroher Abend.

Perfektion behindert Improvisation

Und das Schiff am Abend vor dem Start? Jens, Bootsbauer und Fuchs der Bordtechnik, steckt noch bemitleidenswert verrenkt tief in der Schiffelektronik. Der zweite Navigationscomputer ist zu spät geliefert worden und lässt sich nicht problemfrei ins bestehende Netzwerk integrieren. Die Schnelllebigkeit der digitalen Welt schlägt auch bei einem erst vier Jahre alten Schiff erbarmungslos zu. Deshalb fehlt jetzt aber die Zeit, den Wassermacher in Betrieb zu nehmen. Der war mit zu schwacher Förderpumpe geliefert worden. Als eher um Perfektionismus ringenden Menschen lässt mich das nicht unberührt, aber ich weiß, bisher hat noch keine Reise anders begonnen… Und es hat doch am Ende alles immer bestens geklappt. Eigentlich sind alle Arbeiten rechtzeitig im vergangenen Herbst beauftragt worden. Immerhin wurde heute Morgen noch in letzter Minute der Windgenerator am Großmast (bei einem Schoner der hintere Mast) angeschlossen. Wir hoffen, er hält was er verspricht und macht uns zusammen mit zehn Solarpanelen autark, was die Stromversorgung an Bord angeht. Testen werden wir das nun erst während der Reise können.

Besser nicht über Bord gehen bei 6°C Wassertemperatur

Ansonsten ist alles bereit. Die Segel und das gesamte Rigg (die Masten und alles,was sie aufrecht hält) sind gecheckt. Die Maschinen gewartet. Alle Rettungsmittel neu oder frisch gewartet. An Bord herrscht absolute Schwimmwestenpflicht. Jeder der mit mir segelt weiß: Abgelegt wird erst, wenn alle Crewmitglieder ihre Schwimmweste tragen. Die sind zusätzlich mit Notleuchten und jeweils einer Funkboje ausgestattet, die alle Schiffe im Umkreis von 5nm (1 nautische Meile = 1853m) im Falle eines Überbordgehens alarmieren soll. Überbordfallen sollte aber trotzdem möglichst niemand. Die Zeit, die man im Wasser von z.Zt. 6°C überlebt, liegt bei ca. 30 Minuten. Das ist sehr knapp. Ein Schiff kann nicht so einfach wie ein Auto gestoppt werden. Trotz reichlich Training, „Mensch-über-Bord-Manöver“ – 30 Minuten sind schnell vorbei. Und bei schlechtem Wetter, hohem Seegang, sichtbehinderndem Regen … ? Deshalb – zweite wichtige Regel an Bord: Wer auf See das geschützte Cockpit verlassen muss, darf dies nur, wenn er mit sogenannten Lifelines mit dem Schiff verbunden ist.

Historischer Kompass am Salontisch der MAREVIDA

Für uns geht die Abendrunde am gemütlichen Salontisch, in dessen Mitte ein historischer Kompass die Richtung weist, erst spät zu Ende. Für uns Anlass, noch einmal über die Reiseplanung zu sprechen und über das Wiedersehen mit unserem Freund, Kapitän Matthiesen. Einem echten Freund, zutiefst redlichen und klugen Menschen, mit einem unglaublichen Wissensschatz aus einem Leben auf und mit dem Meer. Einfach ein Mensch, den wir von Herzen gern haben und leider viel zu selten sehen. Auch er möchte uns morgen verabschieden. Schließlich fallen Maria und ich um drei Uhr todmüde in die Kojen. Wecken um 6:30 Uhr. Auslaufen 08:00. So ist der Plan.

 

Behind the Curtain:

Beobachtungen und Gedanken am Wegesrand

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