BRIEF AN DEN SKIPPER

 

BRIEF AN DEN SKIPPER

BRIEF AN DEN SKIPPER

„ Wissen Sie eigentlich, worauf Sie sich da einlassen…? “

„ Jedes Schiff verdient einen würdevollen Untergang… “

Diese und andere Kommentare bekam ich bzw. bekamen wir zu hören, wenn wir mit anderen über die Überquerung der Barentssee und des Nordpolarmeeres sprachen.

Aber beginnen wir von vorn:

Seit erst drei Jahren beschäftige ich mich mit dem Segeln, diesem wunderschönen, manches Mal anstrengenden und fordernden Hobby, wurde seekrank, war genervt von Mitseglern und sie wahrscheinlich auch von mir und wusste dennoch: SEGELN ist meines, denn die Belohnung, die ich durch das Leben mit der Natur erfahren darf, ist stärker, eindringlicher und unmittelbarer als jegliche „Laune“ des Wetters oder meiner Mitsegler…. !

Nur, allem Segelvergnügen geht ohne Zweifel eines voran:

ein intaktes Boot und ein verantwortungsvoller, erfahrener und vorausschauender Skipper!

Peter, dem Skipper und Eigner der MAREVIDA, begegnete ich zunächst als Arzt. Seine Praxis, bekannt für ihre gute Medizin und Fortschrittlichkeit war für mich der Grund, einen Termin zu vereinbaren.

Warum erzähle ich das? Als ich von den Plänen dieser ungewöhnlichen Reise hörte, wollte ich mit. Als Segelanfängerin aber auch als Mitarbeiterin einer großen Rundfunkanstalt war ich absolut fasziniert von der geplanten Reise und dem dahinterstehenden Projekt. Aber, ohne Hafenstop, also ohne die Möglichkeit eventuell von Bord „flüchten“ zu können, auf engem Raum in nicht ungefährlichen Gewässern, mit mir unbekannten Mitseglern, das wollte wohl überlegt sein. Ich erlebte Peter und später seine Familie als sehr zugewandte, interessierte, verlässliche, sehr gewissenhafte und empathische Menschen – für mich essentielle Eigenschaften, um Vertrauen aufzubauen. Unter diesen Voraussetzungen fasste ich den (Über)Mut mein Interesse für zwei anstrengende Törnabschnitte: Tromsø-Spitzbergen und Spitzbergen-Lofoten zu bekunden.

Mehr als 1200sm durch die wilde Barentssee und das Nordpolarmeer, mit der Gefahr der Kollision sowohl mit großen Baumstämmen, die durch die Ost-Westströmung in die Barentssee und das Nordpolarmeer getrieben werden, als auch mit an der Oberfläche ruhenden Walen, wie dem hier jagenden Pottwal. Mit bis zu 18m Körperlänge und 60 Tonnen Gewicht kann der auch für die stärkste Yacht ein echtes Risiko darstellen. Ich erhielt ein fröhliches: „Klar, komm mit“, zur Antwort.

Wusste ich worauf ich mich bei dieser Reise einließ?

Nicht wirklich. Ich hatte einige Segeltörns erlebt, wusste, dass die SY MAREVIDA für das Nordpolarmeer tauglich ist und von zwei erfahrenen Skippern wie Peter und seinem Sohn Nikolas durch die möglicherweise unruhige See, die sie dann in der Tat auch war… (!), geführt werden würde.

Hatte ich vorher Angst? Nein! Vielleicht hin und wieder ein mulmiges Gefühl, aber die Neugierde und damit einhergehende Vorfreude auf das, was kommen würde, waren weitaus stärker!

Bevor wir Segel setzten, nahm sich Peter viel Zeit und gab uns eine ausführliche Einführung zu Sicherheit und Leben an Bord, wir bekamen eigene, angepasste Schwimmwesten, erhielten Sicherheitsleinen und spezielle Wärmeschutzkleidung (Überlebensanzüge), trugen stabile, rutschfeste Schuhe und den ersten Schluck Alkohol gab es erst beim Anlegen – auf hoher See, während mehrerer Tage, war Alkohol ein Tabu – und bei Seekrankheit sowieso kein Thema….!

Vor jedem Ablegen bzw. Ankermanöver und auch allen übrigen Manövern besprachen sich Peter und Nikolas eingehend, danach auch mit uns als Crew, über die bevorstehende Passage und unsere Aufgaben, sie überprüften die Instrumente, Rigg und Segel, verschwanden im dröhnenden Maschinenraum, um später verschwitzt und mit Motoröl im zufriedenen Gesicht, wieder „aufzutauchen“.

Auftretenden (kleineren) Problemen wurde so lange nachgegangen, bis sie gelöst waren, denn: „Safety an Bord geht vor“, das spürte man bei jeder Handlung oder Anweisung der Beiden!

Auch während des Segelns verschwand der eine oder andere regelmäßig in der großen Bilge („Keller“ im Schiff), um die Maschinen, die Ruderaufhängung, Wellenanlagen uam. zu überprüfen, stellte sich den Wecker, für einen Rundumblick, Segel- und Instrumentencheck – für beide eine Selbstverständlichkeit, für mich als Anfänger und unerfahren mit der MAREVIDA das wirklich gute Gefühl, mich in verlässlichen Händen zu befinden! Ihre Leidenschaft für das Segeln zeigt sich auch in der eingehenden Kenntnis ihres Bootes mit seiner komplizierten, fortschrittlichen Technik und IT – auch das sorgte für Vertrauen in der Crew. Wenn Wachdienst anstand, speziell in der Nacht, war einer von beiden immer (stand by) bei uns und hätte im Notfall sofort eingreifen können – zum Glück war das nicht nötig!

Wie habe ich das Segeln bei 0 – 4°C Luft- und Wassertemperatur erlebt ?

Beim Segeln stellt man sich einen eleganten Sport vor: man trägt weiße, schicke, saubere Kleidung, oder räkelt sich im Bikini an Deck, voll aufgetakelt wie die Yacht selbst, bekommt Cocktails kredenzt, alle sind schön, braun gebrannt und wohlduftend, das Meer in seiner sommerlichen Trägheit funkelt wie tanzende Diamanten in der Sonne ……

Aber segeln bei 0 – 4°C Luft- und Wassertemperatur? OK, wir sind natürlich immer noch schön – klar! Und aufgetakelt…? Statt Bikinis sind wir eingepackt in unsexy, aber dafür herrlich warme Thermo-Anzüge. Wir kredenzen unseren Gin Tonic eigenhändig (nachdem der Anker sicher hält…), dafür dafür dann aber auch mit jahrtausendealtem Gletschereis und wir erleben zwei gewissenhafte Skipper, denen top getrimmte Segel und gut funktionierende Maschinen wichtiger sind als blütenweiße Hemden.

In der Barentssee zwischen Tromsø und Spitzbergen (zurecht genannt: The Devil´s Dance Floor) legt der „Teufel“ mit seinen vier bis sechs Meter hohen, konfusen Wellen mit uns einen wilden Tango hin, der Geist und Magen in unkontrollierbare Vibrationen versetzt…. ! Unser Boot und seine beiden Skipper halten jedoch unbeirrbar Kurs und bringen uns nach zwei Tagen und Nächten in ruhigere Gefilde.

Auf hoher See mit noch höheren Wellen ist an die tägliche Dusche und weiße, saubere Kleidung nicht zu denken, allerhöchstens an das Benetzen des ohnehin grünen Gesichts. Mit tiefen Augenrändern wird dem wenigen Schlaf durch Seekrankheit und notwendige Nachtwachen Tribut gezollt. Der Fitteste unter uns Crew wagt sich trotz Übelkeit in die Kombüse (die Skipper sind befreit vom Küchendienst), immer den Eimer in der Nähe, falls die Natur einmal wieder „ihr Opfer“ fordert…

Und, wir muffeln zwar nicht, wirklich wohlduftend sind wir allerdings auch nicht…

Auch das ist Segeln – und ich will es keine Minute missen!

Wussten Peter und Nikolas worauf sie sich einließen?

Sie sind erfahrene Segler, Sicherheit an Bord hat Priorität, das Schiff ist super in Schuss, sie haben spürbar auch viel Erfahrung mit dem Teambuilding neuer Crews und wir hatten selbst bei miesen Wetterlagen stets das Gefühl, die beiden haben alles im Griff – nur: 100% Sicherheit gibt es auf See nie. Natürlich können sie das, auch trotz viel Erfahrung und Umsicht, nicht garantieren. Aber, darauf hatte Peter mich in den Vorgesprächen zum Törn ausführlich hingewiesen. Eine der Definitionen für „Sicherheit“ lautet: „die größtmögliche Abwesenheit von Gefahr.“ Diese Definition impliziert ein potentielles Risiko, das man nie ausschließen kann, wie sonst im Leben auch, auf hoher See aber natürlich noch weniger. Man kann Sorge dafür tragen, dass Schiff und Mannschaft optimal vorbereitet sind, verantwortungsbewusst geführt werden und die Crew auch unter gruppendynamischen Aspekten sorgsam zusammengestellt ist. Diesen Umstand erlebte ich auf beiden Törnabschnitten mit den beiden Skippern und ihrer Familie. Bis auf die Skipper kannten die übrigen Crewmitglieder sich untereinander nicht. Trotzdem wuchsen wir beide Mal zu einer super Mannschaft. Hier hatte Peter wohl ein gutes Gespür für die richtigen Leute (Das habe ich auch schon anders erlebt…). Mit Rücksicht, Umsicht und viel Lachen an Bord, selbst in den unangenehmeren Situationen, sind wir uns in langen Wachen nahegekommen und Freunde geworden. Staunen und Ehrfurcht angesichts der zutiefst ergreifenden Natur erlebten wir nicht allein, sondern gemeinsam. Das war sehr schön mich! Auch das war mit ein Verdienst der Schiffsführung.

In beiden Crews waren wir uns absolut einig, es war eine wunderschöne Reise!

Dass ich darüber hinaus im Verlauf der Reisevorbereitungen und der Reise selbst, zu einem Teil des Projektteams werden durfte, empfinde ich als großes Glück. An den Interviews in Tromsø, auf Bjørnøya und zuletzt in der Polnischen Polarstation im Hornsund konnte ich aktiv teilnehmen. Sie haben mir mit ungeahnter Intensität die Dramatik der stattfindenden Veränderungen in unserer Welt vor Augen geführt. Auch hier hat Peter als Skipper und Teamleader uns durch seine Begeisterung, seine Vorausschau wie auch durch sein profundes Wissen immer zu motivieren vermocht.

Ich denke, uns allen war vielleicht ein wenig mulmig zu Mute, als wir von Tromsø zum langen Schlag in Richtung Spitzbergen und später von Spitzbergen zu den Lofoten aufbrachen. Aber unsere Zuversicht, unsere Neugierde und unser Vertrauen in Eure Schiffsführung, die MAREVIDA und die Natur wurden belohnt mit unvergesslichen Momenten und Begegnungen, die uns unser Leben lang begleiten werden, tief verbunden mit Herz, Seele und Geist.

Danke Euch liebe Martina, lieber Peter, lieber Nikolas, dass wir an Eurer Reise und dem Projekt teilnehmen konnten! Es hätte nicht schöner sein können.

Und der MAREVIDA, Mast und Schotbruch und stets eine Handbreit Wasser unter dem Kiel(schwert)!

Hamburg, August 2019.

Maria

Behind the Curtain:

Beobachtungen und Gedanken am Wegesrand

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